Donnerstag, 25. November 2010

Fürsorglicher Richter

25. November 2010
Vorweihnachtlicher Hausbesuch bei einer Kranken

Was macht eigentlich ein Richter, der sich im Amtsgericht zu Hannover die Zeit mit Strafprozessen vertreiben will und am Donnerstagmorgen im amtlichen Briefkasten ein ärztliches Attest vorfindet, mit dem sich eine um 13.30 Uhr Angeklagte krank meldet? Ruft der juchhei, zählt sein Geld und wenn er genug davon hat, schlendert der dann über den Weihnachtsmarkt, um Geschenke zu kaufen?

Macht er nicht, denn erstens hat die Angeklagte angeblich einen Nachbarschaftsstreit auf dem Kerbholz, für den sich die Staatsanwaltschaft von Hannover keinesfalls nur deshalb interessiert hat, weil es eine Strafanzeige dieser über 60-Jährigen gegen einen Polizeibeamten und gegen einen Vertreter der Staatsanwaltschaft Hannover gibt, und zweitens leben wir in der Vorweihnachtszeit, in der mit den ersten Lichtern die Nächstenliebe so sehr zu leuchten beginnt, dass bei der Polizei eines Nachbarortes von Hannover das Telefon klingelt.

Advent, Advent, steigen zwei Zivile verschiedenerlei Geschlechtes gegen 11 Uhr in ein Auto und statten der Angeklagten einen Krankenbesuch ab, der wohl nur dann ins Buch der Wache eingetragen werden darf, wenn die Aufgesuchte auch wirklich krank ist. Die jedoch lässt die Haustür zu, sie ist gerade erst aufgewacht und erkundigt sich aus geöffnetem Fenster nach dem Grund der Fürsorglichkeit.

Weiblein und Männlein in Staatsdiensten zücken ihre Ausweise, wollen das Attest des Arztes sehen. Begnügen müssen sie sich mit einer Kopie, denn das Original liegt in Hannover auf einem Richtertisch. Den Arzt kennt sie nicht, wundert sich die weibliche Zivile darüber, wie viele Ärzte es in der niedersächsischen Landeshauptstadt und drumherum gibt. Dann trollen sich Weiblein  und Männlein in Staatsdiensten wieder, sie haben ihre Pflicht getan, Nächstenliebe gezeigt und Fürsorglichkeit bewiesen.

Dafür ist ihnen und jenem Richter jederfraus und jedermanns Dank gewiss, denn dass solche Einsätze dringend geboten sind, wenn es lediglich um einen Nachbarschaftsstreit geht, wird uns wohl niemand erzählen wollen. Die Liebe dagegen, die Nächstenliebe also auch kennt weder Regeln noch Gesetze...

Sonntag, 14. November 2010

Richtige Richter...

14. November 2010
...richten immer richtig

“Ich bin selbst ein deutscher Richter, seit fast 20 Jahren. Ich würde mich nicht noch einmal entscheiden, ein deutscher Richter zu werden. Die deutschen Richter machen mir Angst”, soll Professor Diether Huhn 1982 gesagt haben. Der hat also Schiss in der Büx.

"Führe möglichst keinen Prozeß; der außergerichtliche Vergleich oder das Knobeln erledigt den Streit allemal rascher, billiger und im Zweifel ebenso gerecht wie ein Urteil. Das heißt in allem Ernst: Unter den in der Bundesrepublik obwaltenden Verhältnissen von den Gerichten Gerechtigkeit zu fordern, ist illusionär.” Schreibt der ehemalige Verfassungsrichter Professor Willi Geiger im September 1982 in der "Deutschen Richterzeitung".  1982 muss also einiges los gewesen sein.

Ist heute aber nicht mehr. Heute entscheiden richtige Richter immer richtig. Das sei mit fiktiven und tatsächlichen Beschlüssen bewiesen.

Das Landgericht München entscheidet, dass ein Fahrrad dem Besitzer nicht unverzüglich zurück gegeben werden muss. Wer - wie der Kläger - bereits seit einem Jahr darauf gewartet habe, dass der Dieb endlich gefasst wird, könne bis zur Rückgabe auch auf den Ausgang des Prozesses warten, der in Kürze gegen den Fahrraddieb beginne. Außerdem müsse der Fahrradbesitzer beweisen, dass er zwischenzeitlich das Rad fahren nicht verlernt hat. Habe er das Rad fahren verlernt, sei das Recht auf Rückgabe des Diebesgutes verwirkt.

Klar: Ist reine Fiktion. So würde kein deutsches Gericht entscheiden.

Das Landgericht Hamburg entscheidet, dass eine Veröffentlichung verboten werden muss, weil sich der Richter keine Beweise angeschaut hat, mit denen der Beklagte hätte beweisen können, dass seine Veröffentlichung auf Wahrheit basiert. Da es also keine Beweise gebe, die der Richter kenne, gelte die Veröffentlichung als unwahr.

Klar: Ist wahr. So würden die Pressekammern des Hamburger Landgerichtes immer wieder entscheiden.

Das Landgericht Flensburg entscheidet, dass vom beklagten Unternehmen weder Flüsse noch Bäche verunreinigt worden seien. Schließlich habe der Müll, der von der Firma in Flüssen und Bächen entsorgt worden ist, dem Unternehmen nicht gehört. Was einem nicht gehöre, falle auch nicht unter die Entscheidungsfreiheit einer Firma über den Umgang mit Nichtbesitz.

Klar: So hat das Flensburger Landgericht noch nie entschieden. Aber: Ist jemand sicher, dass ein solches Urteil gänzlich  unmöglich ist? Ich nicht.

Das Oberlandesgericht Hamm entscheidet, dass eine Mutter "kein dringendes Bedürfnis" für eine Rückkehr ihrer Kinder geltend machen könne. Denn: "Die Kinder leben schon seit über einem Jahr bzw. seit einem guten halben Jahr nicht mehr im Haushalt der Kindesmutter."

Klar: Ist wahr, obwohl das mit dem Fahrrad (siehe oben) nicht wahr ist. Hat Professor Willi Geiger also doch Recht? Diese Frage haben die Richter Finke, Uetermeier und Busch am 9. November 2010 mit ihrer Entscheidung über einen Eilantrag einer Mutter aus Münster in den Raum gestellt.

Lust auf die mündliche Verhandlung in gleicher Sache am 23. November 2010 haben diese Richter auch nicht mehr. Deshalb teilen sie der Mutter rein vorsorglich mit, dass sie wieder gegen sie entscheiden werden. Wenn schon die Kinder weg sind, sollte nicht auch noch Geld für eine vergebliche Bahnfahrt von Münster nach Hamm weg sein?

Montag, 8. November 2010

Abmahnwelle

8. November 2010
Abenteuerliche Schadenersatzforderungen

Urheberrechtliche Abmahnungen im Namen von Nachrichtenagenturen mit Schadenersatzforderungen bis zu 200 000 Euro sind für die meisten nur schwer verdaulich. Dazu die Kölner Rechtsanwaltskanzlei Willers Müller-Römer Kunze & Partner in einer Pressemitteilung: "Die Abmahnungen beziehen sich darauf, dass Texte angeblich ohne Zustimmung der Agenturen verwendet werden."

Verdächtig seien diese Abmahnungen nicht nur wegen "abenteuerlicher Kosten für die Recherche und Dokumentation dieser angeblichen Urheberrechtsverletzungen", die Schadensberechnung auf Basis der Vergütungsregeln des Deutschen Journalisten-Verbandes könne zudem nicht nachvollzogen werden.

Die Frage, ob Nachrichten überhaupt urheberrechtlich geschützt sind, lasse sich nicht generell beantworten, weil in jedem Einzelfall nachgeschaut werden müsse, ob ein Text die erforderliche Schöpfungshöhe erreicht habe. Allerdings gebe es eine klare Tendenz dahin, dass dies bei einfachen Nachrichten(meldungen) nicht der Fall sei. Denn: "Tatsachen, auf denen die Nachrichten basieren, sind natürlich nicht urheberrechtlich geschützt."

Kurze Texte seien nicht urheberrechtlich geschützt. Das habe das Düsseldorfer Landgericht am 25. April 2007 entschieden (Az. 12 O 194/06). Der Fall: Die Beklagte hat aus Meldungen wenige Sätze oder Passagen übernommen, sie gab die Quelle an. Die Richter urteilten: "Bei Nachrichtenmeldungen, die lediglich eine Wiedergabe tatsächlicher Geschehnisse unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten sind, liegt keine eigenschöpferische Gedankengestaltung zu Grunde."

Bereits im Mai 2009 erhielten laut "Frankfurter Rundschau" tausende Personen anwaltliche Abmahnungen von einer Nachrichtenagentur. Folgt nun eine zweite Abmahnwelle?

Vor einer echten Welle sollte man davonlaufen, nicht aber vor einer Abmahnwelle, raten die Kölner Rechtsanwälte. Das fange schon bei einer Unterlassungserklärung an. Die dürfe ohne Einschaltung eines spezialisierten Anwaltes weder unterschrieben noch modifiziert werden.

Montag, 1. November 2010

O, du fröhliche...

1. November 2010
Entscheidungen über Eilanträge zum Hameler Weihnachtsmarkt


11. Kammer gibt Antrag einer Baumkuchenstandbetreiberin statt und lehnt Antrag eines Glühweinstandbetreibers ab

Die Stadt Hameln hat für die Vergabe der Standplätze - auch vor dem Hintergrund der Rechtsschutzverfahren in den letzten Jahren - folgendes Verfahren entwickelt. Die Bewerber werden zunächst in Kategorien eingeteilt, nämlich:

Kunsthandwerker/Geschenkartikel
Süßwaren
Kinderkarussells
Reine Getränkestände
Speisen, auch mit nachrangigem Getränkeausschank
Vollimbisse
Pizza- und Pastastände

Bei der Auswahl der Bewerber wird danach entschieden, ob die Stände attraktiv sind und sich dem Altstadt­charakter, der Umgebung, aber auch der Weihnachtszeit anpassen. Dazu müssen die Bewerber eine ausführliche Beschreibung ihres Sortimentes sowie des Verkaufsstandes beifügen. Die Bewertung erfolgt dann aufgrund eines in einem Kriterienkatalog festgelegten Punktesystems. Punkte werden für verschiedene Kategorien vergeben, nämlich für das Kriterium "Bauform, Bauweise/-Gestaltung" maximal 45 Punkte, das Kriterium "Weihnachtliche Beleuchtung der Stände" 10 Punkte, das Kriterium "Hüttenschmuck" 26 Punkte, das Kriterium "Kundenorientierung" 25 Punkte und das Kriterium "Barrierefreiheit" 15 Punkte. Maximal können also 121 Punkte erreicht werden. Bei Punktgleichheit ergeht eine Entscheidung nach dem Kriterium "bekannt und bewährt" und einem Losverfahren. Bei dem Losverfahren werden zunächst die Bewerber berücksichtigt, die in den vergangenen Jahren mindestens einmal vollständig den Weihnachtsmarkt bestückt haben.

Mit Bescheiden vom 22. Juni 2010 teilte die Stadt Hameln beiden Antragstellern mit, dass sie keinen Standplatz bekommen könnten, da die erreichte Punktzahl nicht ausreiche. Die Betreiberin des Baumkuchenstandes habe für ihre Bewerbung 35 Punkte erreicht und damit unter den 40 Bewerbern in der entsprechenden Kategorie bei 15 zu vergebenden Plätzen nur den 31. Platz erreicht. Der Betreiber des Glühweinstandes habe mit 117 Punkten bei sieben zu vergebenden Plätzen nur den 12. Platz erreicht.

Dem Antrag des Baumkuchenstandbetreibers gab die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 28.10.2010 statt, den Antrag des Glühweinstandbetreibers lehnte sie ab:

Nur hinsichtlich des Baumkuchenstandes sei die Vergabeentscheidung rechtswidrig.

Die Ausgestaltung des Vergabeverfahrens und die Ausrichtung der Aus­wahlent­scheidung vorrangig an der Attraktivität des Angebots auf der Grundlage von einem Punktesystem zugeordneten Bewertungs­kriterien und bei Punktgleichheit nachrangig an dem Auswahlkriterium "bekannt und be­währt" und einem Losver­fahren hält die Kammer für rechtmäßig. Das vorrangig unter "Altbeschickern" durchzuführende Losverfahren sei nicht zu beanstanden, solange Neubewerber eine erkennbare Zulassungschance hätten. Das sei noch der Fall.

Im Fall der Baumkuchenstandbetreiberin habe die Stadt Hameln aber ihre eigenen Vergaberegeln nicht korrekt angewendet. Hätte die Stadt dieses getan, hätte auch dieser Stand nach den vorgelegten Bewerbungsunterlagen mit 121 Punkten bewertet werden müssen. Die Stadt Hameln habe in einigen Kategorien zu Unrecht null Punkte verteilt, weil sie die Bewerbungsunterlagen nicht für ausreichend erachtet habe. Die Vergaberichtlinien enthielten aber - abgesehen davon, dass das bloße Ausfüllen oder Ankreuzen der Merkmale auf dem Kriterienkatalog nicht ausreichend sei - keine näheren Bestimmungen zur Form der Präsentation in der Bewerbung. Es genüge daher, wenn in einem separaten Schreiben erklärt werde, die einzelnen in dem Kriterienkatalog aufgeführten Merkmale würden erfüllt. Weitere Anforderungen - wie etwa ausführliche Beschreibungen oder die Beifügung von Fotos - seien nach den Bestimmungen der Vergaberichtlinien nicht erforderlich. Die Antragstellerin habe daher einen Anspruch darauf, dass über ihren Antrag neu entschieden werde.

Anderes gelte für den Betreiber des Glühweinstandes, der den Hameler Weihnachtsmarkt seit dem Jahre 1979 beschickt. Diese verfehlt die Maximalpunktzahl, weil er bei der Bewertung des Hüttenschmucks nur 22 von möglichen 26 Punkten erreicht, was aus Sicht des Gerichts nicht zu beanstanden ist. Nach den Vergaberichtlinien gibt es jeweils zwei Punkte für die Dekoration eines Standes mit Weihnachtsgestecken und (Kunst-)Schnee. Bei der Frage, welche Gestaltungsmerkmale mit wie vielen Punkte bewertet werde, habe die Stadt Hameln einen Ermessensspielraum, der in diesem Fall nicht verletzt sei. Selbst wenn man die an der Außenseite des Standes arrangierten Tannenzweige mit goldenen Schleifen als Weihnachtsgesteck ansehen würde, fehlten im Vergleich zu den zum Zuge gekommenen Mitbewerben zwei Punkte, weil der Stand eine Dekoration mit (Kunst-)Schnee nicht aufweise.

Den Einwand des Antragstellers, anderen Mitbewerbern sei zu Unrecht die Maximalpunktzahl zugesprochen worden, hält das Gericht nicht für durchgreifend.

Das gilt auch für den weiteren Einwand, der Antragsteller habe nach einer Ausnahmevorschrift der Vergaberichtlinien von der Bewertung nach einem Punktsystem ausgenommen werden müssen, weil er sich von den übrigen Weihnachtsmarktständen abhebe und zu einem besonderen Publikumsmagnet entwickelt habe. Er gebe kostenlos große Menge Spritzgebäck und Kakao an Kindergartengruppen ab und gewähre Ermäßigungen für Schülergruppen und Behinderte. Dies sei durchaus üblich und unterscheide den Stand des Antragstellers nicht von anderen Ständen. Eine Unterschriftenliste mit mehr als 2.000 Unterschriften sei nicht als Beleg geeignet, eine Vergleichbarkeit der Beliebtheit mit anderen Ständen herzustellen.

Gegen die Entscheidungen ist die Beschwerde vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zulässig.

Az.: 11 B 2991/10 und 11 B 3265/10